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50 Geschichten: Die Anfänge der Clearingstelle

Dies ist ein Beitrag von der Clearingstelle Gesundheit [1] umd stammt von Robert Limmer, Leitung Clearingstelle Gesundheit

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Der Anfang

Am 1. April 2020, mitten im ersten Corona-Lockdown, betreten ein Sozialpädagoge und ein Sozialversicherungsfachangestellter leere Büroräume in der Konradstraße. Bis auf zwei Computer und Telefone nichts. Die Ordner auf der Festplatte leer, keine einzige Datei, kein einziges Formular. Ende 2019 hatte die Landeshauptstadt München Condrobs mit der Einrichtung einer Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherung beauftragt. Der Auftrag: Die medizinische Versorgung durch die Klärung der Krankenversicherungsverhältnisse und einen neu eingerichteten Gesundheitsfonds sicherzustellen. Als erste Arbeitshandlung trägt das neu zusammengefundene Team Schreibtische ins Büro. Der Anfang ist gemacht.

Die ersten Erfolge

Von da an nimmt die Arbeit der Clearingstelle Gesundheit schnell Fahrt auf. Ihr erster Fall wird über die medizinische Anlaufstelle Malteser Medizin an sie weitergeleitet: Eine junge Frau aus Georgien, die sich schon seit mehr als einem Jahr in München aufhält, hat keine Krankenversicherung und ist im 8. Monat schwanger. Die Clearingstelle kann die Entbindung über den Gesundheitsfonds finanzieren und so die medizinische Versorgung von Mutter und Kind sicherstellen. Eine glückliche Mutter und ein gesundes Baby starten ihre Zukunft. In der Anfangszeit führt das Team Clearinggespräche überall dort durch, wo die Zielgruppe anzutreffen ist. Beraten wird in medizinischen Anlaufstellen, sozialen Einrichtungen, in Krankenhäusern, an Schlafplätzen und vor dem Supermarkt. Die Klientel ist vielfältig. Da ist der Münchner Handwerker, der aus der privaten Krankenversicherung herausgefallen ist und eine dringende Operation braucht. Da ist die Obdachlose, die regelmäßig in einem Park schläft und sich kein Insulin für ihren Diabetes leisten kann. Ein Mann, der ständig Magenschmerzen hat und dringend eine Gastroskopie braucht. Oder Menschen, die ohne Aufenthaltstitel in München leben und auch bei gesundheitlichen Belangen auf sich allein gestellt sind. Die Geschichten sind unterschiedlich. Doch fast alle befinden sich in sehr schwierigen Lebenslagen und bringen mehr als einen Mangel an gesundheitlicher Versorgung mit. Die allermeisten Klient*innen sind ohne finanzielle Absicherung, ohne Sozialleistungen, viele sind wohnungslos und leben auf der Straße. So kommt es vor, dass Klient*innen in die Räume der Beratungsstelle mit ihrem gesamten Hab und Gut kommen und sich über einen heißen Kaffee oder Tee freuen. Auch die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist keine Selbstverständlichkeit. Das Team der Clearingstelle reagiert auf diese Lebensrealitäten ihrer Klienten*innen und organisiert über Spenden schnell Fahrkarten und Gutscheine für Supermarkteinkäufe, die bei einem Beratungsgespräch ausgegeben werden können. Auch eine Kiste mit warmer Kleidung hat mittlerweile einen festen Platz in den Beratungsräumen.

Dringend benötigte Unterstützung

Seit ihrer Eröffnung arbeitet die Clearingstelle kontinuierlich daran, Klienten*innen bei der Klärung ihres Versicherungsstatus zu unterstützen und Menschen ohne Krankenversicherung (wieder) in ein Versicherungsverhältnis zu bringen, um ihre medizinische Versorgung so langfristig zu sichern. Wo das nicht möglich ist – oder in Notfällen – werden die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch den (angegliederten) Gesundheitsfonds der Stadt München geprüft. In einigen Fällen lässt sich ein Krankenversicherungsverhältnis ohne größeren Aufwand wiederherstellen. Manchmal kann Klient*innen auch bereits mit einer (einmaligen) Kostenübernahme medizinisch notwendiger Behandlungen oder Medikamente weitergeholfen werden. Doch die Zahl komplexer Fälle, bei denen schwere gesundheitliche Diagnosen auf vielschichtige Problemkonstellationen und/oder komplizierte Rechtslagen treffen, nimmt stetig zu. Hier kann sich eine Begleitung durch die Clearingstelle über viele Monate erstrecken und intensive Kooperationen mit verschiedenen Behörden und anderen Stellen notwendig machen.

Perspektiven werden geschaffen

Umso größer ist die Freude, wenn es gelingt Klient*innen in akuten Notlagen zu medizinischen Behandlungen zu verhelfen und für diese wieder Perspektiven zu schaffen. So auch in den Fällen von Herrn K. und Herrn. B.  Es ist Hochsommer in München, als der nicht versicherte Straßenmusiker Herr K. ins Krankenhaus eingeliefert wird. Die Diagnose: Ein akutes Lungenödem sowie ein Herzklappendefekt. Die Ärzt*innen raten dringend zu einer neuen Herzklappe. Herr K. kann sich aber eine so teure Operation nicht leisten. Über den Gesundheitsfonds kann die Clearingstelle die lebenswichtige Behandlung schließlich finanzieren. Heute bestreitet Herr K. seinen Lebensunterhalt wieder mit Musik. Ein anderer Fall ist der von Herrn B., der auf der Suche nach einem besseren Leben nach Südamerika ausgewandert war und Jahre später als Auslandsrückkehrer (mittellos) zurück nach München kam. Gesundheitliche Beschwerden führten ihn in eine der ehrenamtlichen medizinischen Anlaufstellen für Menschen ohne Krankenversicherung. Die dort behandelnden Ärzt*innen stellen eine rasch wachsende Zyste am Hals fest, rieten dringend zu weiteren diagnostischen Untersuchungen in einer Klinik und vermittelten ihn deshalb an die Clearingstelle. Nach dem Beratungsgespräch stellte die Clearingstelle sofort die Kostenübernahmeerklärung für das Diagnoseverfahren im Krankenhaus aus, parallel ermittelte sie, dass der Klient Anspruch auf ALG II Leistungen durch das Jobcenter hatte und stellte mit ihm einen Antrag. Bei den Untersuchungen im Krankenhaus wurde ein Tumor am Hals diagnostiziert, der dringend operativ entfernt und danach bestrahlt werden musste. Auch Herr B. hatte nicht die finanziellen Mittel, um die Operation zu zahlen. Die Clearingstelle stellte eine Kostenzusage für das Krankenhaus aus, um die Operation zu sichern. Der ALG II Antrag wurde nach einiger Zeit genehmigt. Herr B. ist damit wieder fest bei der AOK krankenversichert und gesundheitlich abgesichert. Die bis dahin angefallenen Operations- und Behandlungskosten konnten von der AOK an den Gesundheitsfonds zurückerstattet werden.

Eine der zentralen Adressen in der Hilfelandschaft zur Gesundheitsversorgung in München

Seit der Gründung der Clearingstelle im Frühjahr 2020 haben dort über 800 Klient*innen Rat und Beratung gesucht. Die Anfragen steigen stetig. Etwa die Hälfte aller Beratenen können in ein Krankenversicherungsverhältnis gebracht werden. Zudem konnten dank Gesundheitsfond der Stadt München durch die Clearingstelle 150 Personen über 470 medizinische Behandlungen erhalten (Stand: Mai 2022). Angefangen bei zwei Schreibtischen, ist die Clearingstelle nun zu einer der zentralen Adresse in der Hilfelandschaft zur Gesundheitsversorgung in München geworden. Im regelmäßigen Wochenrhythmus ist die Clearingstelle in den Sprechstundenzeiten der medizinischen Anlaufstellen Malteser Medizin und Open.med anzutreffen, wo sie in enger Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen vor Ort neue Fälle aufnimmt und damit die weiterführenden Behandlungen absichert. Innerhalb von zwei Jahren sind Kontakte zu anderen Sozialberatungsstellen zu einem großen Netzwerk an Kooperationspartner*innen gewachsen, die Hand in Hand den Klient*innen schnelle und unkomplizierte Hilfe zukommen lassen.

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Dieses Jahr feiert die Clearingstelle Gesundheit ihr zweijähriges Bestehen. Die aktuelle Pressemeldung gibt es hier [2] zu lesen.