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50 Geschichten: Wir fangen wieder an zu leben

Dieser Beitrag erschien erstmals in der 20-Jahr-Chronik von Condrobs 1991 und stammt von Yvonne Schmid, ehemaliges Vorstandsmitglied mit eigener Erlebnisgeschichte

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Wie kann ich begreifbar machen, was sich alles positiv verändert hat in meinem Leben, seit ich das erste Mal die Stufen zur Beratungsstelle in der Konradstraße hinaufgegangen bin, mit widerstrebenden Gefühlen, mit dem Bewusstsein, als Mutter und Mensch versagt zu haben, voll von Ängsten, Selbstzweifeln und Schuldgefühlen. Alle meine Gedanken und Gefühle kreisten um meinen abhängigen Sohn und mein Leid.

Drei Jahre bin ich hingegangen in diese Elternkreise, d.h., ich und andere mutige Mütter und später auch die Väter, als sie so weit waren, die männliche „Sowas brauche dich nicht, schließlich bin ich nicht drogenabhängig“-Haltung aufzugeben. Drei Jahre habe ich gebraucht, um zu begreifen, warum gerade unser Sohn drogenabhängig geworden ist, warum mir so etwas passieren konnte.

Im Elternkreis war ich aber nicht mehr allein damit, sondern wir alle stellten uns diese Fragen:
Wir lieben unsere Kinder doch, wir haben alles für sie getan, was wir für gut und richtig hielten. Wir haben sie gefüttert, gestreichelt und beschützt, als sie Babys waren, haben aufgepasst, dass sie nicht frieren, wenn es kalt war, dass sie nicht zu lange fernsehen, haben lange Spiele-Abende zusammen verbracht, sind mit ihnen geradelt und gewandert. Wir konnten nicht verstehen, warum unsere „Kinder“ plötzlich so anders sind, zu Drogen greifen, unzuverlässig oder gewalttätig sind, uns belügen und bestehlen und vor allem, warum sie sich kaputt machen wollen.

Wir konnten im Elternkreis über unsere Verzweiflung, unser Unverständnis, unsere Wut und unsere Trauer sprechen, begleitet von einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter von Condrobs. Ihnen, Frau Reich und Herrn Bruneß, sind wir besonders dankbar. Es war sicher nicht immer leicht mit uns, wenn wir zum 20. Mal nicht begreifen wollten, warum wir kein Geld mehr geben dürfen. Immer waren Sie klar, präsent und verständnisvoll, manchmal auch ironisch, was besonders wirksam sein konnte, aber manchmal auch schwer zu ertragen.

Schließlich haben wir gelernt, umzugehen mit Abhängigkeit, Co-Abhängigkeit, was Hilfe ist und wo „Hilfe“ schaden kann. Wir haben gelernt, dass es uns und unseren Kindern nicht weiterhilft, wenn sich all unsere Gedanken nur um sie drehen und dass wir uns endlich um uns selbst kümmern müssen.

Es gab Zeiten, in denen es Condrobs finanziell schlecht ging und wichtige Projekte infrage gestellt waren, und wir haben angefangen, uns hierfür zu engagieren. Wir haben Briefe geschrieben, wir haben demonstriert, wir haben Politiker kennengelernt und unsere Anliegen vorgetragen. Und wir haben dabei, denke ich, auch etwas bewirkt. Für Condrobs, hoffe ich, aber auch für uns.

Ja, und was passierte überhaupt in dieser Zeit mit unseren „Kindern“, die ja der Grund gewesen waren, warum wir uns bei Condrobs alle 2 Wochen regelmäßig trafen? Ganz langsam und unbemerkt hatten sich die Probleme verlagert. Wir hatten gelernt, loszulassen und die Probleme den Drogenabhängigen nicht mehr abzunehmen, und sie waren plötzlich gezwungen, sich mit all ihren Problemen selbst auseinanderzusetzen.

Wir hatten das Glück, dass inzwischen die meisten unserer Töchter und Söhne drogenfrei sind oder die Situation sich erheblich gebessert hat. Condrobs hat hier sicher mit dazu beigetragen, dass viele dieser jugendlichen Drogenabhängigen es „gerade noch geschafft“ haben, rechtzeitig den Ausstieg zu finden. Wir mussten aber auch schreckliches begreifen. Mascha, 22, ist gestorben, obwohl ihre Eltern zu den engagiertesten in unsere Gruppe gehörten.

Was hat nun Condrobs für mich verändert:
Ich habe meinen Sohn loslassen können, der jetzt drogenfrei in Frankfurt sein eigenes Leben lebt, zur Schule geht und uns gerne ab und zu besucht.
Ich habe gelernt, Konflikte zu ertragen und zu lösen. Ich habe angefangen, mich für Condrobs zu engagieren, wurde in den Vorstand gewählt, ich mache zusammen mit Maschas Mutter das Abitur nach, wir wollen studieren, und wir merken, wir haben noch viel im Leben vor uns.

Wir fangen an, unseren Schmerz zu überwinden und wieder zu leben …