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Mit Selbstliebe aus der Sucht

Ein Porträt in Orange zum Tag gegen Gewalt an Frauen

Alkohol schien für T.R. lange der einzige Ausweg aus häuslicher Gewalt, Depression und posttraumatischem Stress. Ihre Recovery-Geschichte zeigt, wie wichtig ein Netz aus Familie, sozialen Kontakten und professioneller Hilfe ist. Vor allem aber ist es die ermutigende Geschichte einer Frau, die sich selbst wieder lieben lernte.
Von T. R.

Als Kind war ich in Situationen und sah Sachen, die ein Kind niemals erleben sollte. Bis vor vier Jahren war mir nicht klar, wie mich das geprägt hat.

Es fing an, als das Wort mit dem „K“ in mein Leben kam. Es war ein kleines schwarzes Monster, das in meinem Körper gewachsen war. Ich musste während der Chemo stark bleiben und gesund werden, denn ich hatte Kinder, an die ich denken musste. Das ging auch einige Zeit gut, bis ich in eine tiefe Depression verfiel und nicht mehr so funktionierte, wie es ein bestimmter Mensch von mir verlangte. Von da an fing die verbale und häusliche Gewalt an. Über Jahre Posttraumatischer Stress, Depressionsschübe, mich mit aller Gewalt zusammenreißen zu müssen, zu funktionieren, wie andere es wollten: Um meinen inneren Schmerz in dieser Zeit zu betäuben, landete ich beim regelmäßigen Alkoholkonsum. Ab einem gewissen Alkoholspiegel in meinem Körper war alles leichter für mich – ich hatte nur nicht an die Konsequenzen gedacht.

Ich habe lange nachgedacht, was ich da schreiben soll, über meine Recovery Geschichte. Da fällt mir nur ein, wie der Funke Hoffnung in mir entfacht wurde, als ich mich schon aufgegeben hatte, als ich wieder anfing zu kämpfen, zu kämpfen für mich.

Der Funke, der zur Flamme wurde

Erster Abend in der Klinik.

Ich fühlte mich kalt und leer, wie im Nebel. Alkohol und Tabletten hatten nicht gereicht, ich war noch da. Mit mir redeten Menschen, ich blockierte: „Lasst mich doch alle in Ruhe!“

In der zweiten Nacht wurde ich von einem Pfleger aus dem Bett geholt: „Frau R., wachen Sie bitte auf, Sie müssen mit mir ins Stationszimmer gehen, da ist ein Anruf aus Bogota, Kolumbien.“ Ich ging mit, wusste gar nicht was das soll. Ich nahm den Hörer, eine Dolmetscherin sagte mir ich soll deutlich, „Ja“ oder „Nein“ in den Hörer sagen, wegen der Schweigepflichtsentbindung und den Hörer dann an den diensthabenden Arzt weitergeben. Ich sagte „Ja“ und gab den Hörer dann weiter.

Ich hörte noch wie der Arzt auf die Frage, wie lange ich noch zu leben hätte, antwortete, „Das weiß ich doch nicht“ und ging dann wieder in mein Zimmer.

Zwei Tage später ging morgens die Tür auf und meine Tochter und Schwiegersohn kamen herein, bei ihrem Anblick brach ich in Tränen aus und wir fielen uns weinend in die Arme. Sie wurden aufgrund des Telefonats vom Roten Kreuz der US Army eingeflogen. Sie blieben eine Woche und in dieser Zeit haben meine Kinder, vereint, sehr viel für mich geregelt, mir Mut gemacht und gesagt, dass sie mich lieb haben. Das hatte den Funken Hoffnung in mir geweckt, dass es wieder besser werden kann. Mit einem Koffer und einer Reisetasche mit meinen Sachen, die meine Kinder heimlich aus dem Haus geholt hatten, und dem Funken Hoffnung bewaffnet, ging meine Reise in die Therapie los. Diese Reise sollte ein Jahr dauern.

Ich fing an zu lernen, die überwältigen Symptome der PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) zu kontrollieren und mit meinen Depressionsschüben, Angst und Panikattacken ohne Alkohol umzugehen. In der Zeit entschloss ich mich auch, zu dem Menschen, der mich sehr verletzt hatte, nicht mehr zurückzugehen, sondern in Würzburg ein neues Leben anzufangen. Es war aber auch verdammt hart, alles hinter mir zu lassen.

Bei Condrobs Würzburg bat ich zum Ende der Therapie um Hilfe. Wenn ich jetzt zurückdenke, weiß ich, dass das eine der besten Entscheidungen in meinem Leben war. Ich hatte Glück und durfte bei  Condrobs Betreutes Wohnen [1] einziehen. Die Hilfe, die ich da bekommen habe, hat meine Erwartungen übertroffen. Condrobs unterstützte mich, wie sie nur konnten, sie gaben mir die Starthilfe für mein neues Leben, Begleitung zu Gerichtsterminen und die sichere, abgeschirmte Umgebung, die ich zu dieser Zeit noch brauchte. Christine von Condrobs nahm mich quasi an die Hand und zeigte mir, dass ich mich auch gegen Männer wehren kann. Sie ging mit mir zur Polizei, um eine Strafanzeige wegen Stalking zu stellen. Dort bekam ich den Kontakt zum Frauenhaus in Würzburg und konnte an Wen Do (Selbstverteidigung für Frauen) Kursen teilnehmen. Mit der Traumatherapie machte ich in Würzburg einmal die Woche weiter und lernte, eine gesunde Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen, ohne mich völlig verletzbar und isoliert zu fühlen. Ich konnte Schuld, Schamgefühle und Selbstvorwürfe ablegen.

Auch konnte ich dort erstmal über einen Zustand reden, der mir Angst machte. Ich habe meine Erfahrung immer so beschrieben, als wenn ein Alien von mir Besitz ergreift. Nachts fühlte ich mich oft von dieser fremden Kraft eingenommen, bis zur Taubheit von Armen und Beinen. In der Traumatherapie habe ich gelernt, dass das nicht abnormal ist und ich mich nicht dafür schämen muss. Ich bekam ein Wort dafür: „Dissoziation“, ein Symptom meiner PTBS. Ich habe mich mit Hilfe meiner Therapeutin intensiv mit dem Grund befasst, warum ich diese Hölle in meiner Ehe solange mitgemacht habe und habe das Muster in mir erkannt, das zurück in meine Kindheit führt. Ich habe gelernt, mich selbst zu akzeptieren und zu lieben, mit all meinen innerlichen und äußeren Narben.

Bei Phoenix [2], meiner Selbsthilfegruppe für Sucht, bei der mir auch Christine das erste Hingehen erleichtert hat, wurde ich in meiner Abstinenz unterstützt. Phoenix ist für mich ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben geworden, die Gruppe gibt mir die Verbundenheit zu anderen Menschen mit Suchterkrankung. Mittlerweile lebe ich in meiner eigenen Wohnung und werde noch abschließend ambulant weiter von Condrobs betreut. Ich engagiere mich ehrenamtlich in der Selbsthilfegruppe und absolviere derzeit eine Ausbildung zur EX-IN Genesungsbegleiterin.

Es kommt aber auch noch vor das sich die kleine verletzte T. in mir meldet, dann beruhigt sie die große T. und sagt ihr, dass sie alles daransetzten wird, dass es nie mehr so weit kommt.

In bestimmten Situationen, oder Krisen, meldet sich auch mal, die fiese T. und versucht mir einzureden: „Hey weißt du noch das Mittel, das alle quälenden Gefühle in dir betäubt hat?“ Aber ich bin achtsam geworden und sperre sie schnell wieder weg. Denn dieser Weg, der zwar in meinem Kopf noch vertraut ist, wird niemals zu meinem persönlichen Glück führen, das weiß ich genau.

Meine Sucht war ein Weg, um den großen Schmerz in mir zu betäuben. Jetzt habe ich viel mit Therapeuten verarbeitet, Bewältigungsstrategien bei Belastungen und Krisen gelernt, um nicht mehr zum Alkohol zu greifen.

Ich habe die Lehre des Buddhismus für mich entdeckt, das Loslassen, die Meditation, Achtsamkeit und Atemübungen. Das vermittelt mir innere Ruhe.

In der Therapie habe ich eine Rede von Charlie Chaplin entdeckt, die mich seitdem begleitet. Ich lese sie, wenn es mir nicht gut geht und die Worte legen sich dann wie Balsam auf meine Wunden:

>> Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war, von Alkohol, Menschen, Dingen, Situationen und von allem, das mich immer wieder hinunterzog, weg von mir selbst.

Anfangs nannte ich das „Gesunder Egoismus“ aber heute weiß ich, das ist „Selbstliebe“ <<