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Für ein Recht auf Substitutionstherapie in Haft

Ein Urteil und seine Hintergründe

Condrobs setzt sich angesichts des aktuellen Urteils im Substitutions-Prozess für die konsequente Umsetzung einer Substitutionspraxis ein, auch für Personen in Haft. 

Das Urteil vor dem Amtsgericht Rosenheim vom 15. Juni 2021 wirft ein Schlaglicht auf eine vielfach gängige Praxis in bayerischen Justizvollzugsanstalten: Die Schwester eines heroinabhängigen Mannes wurde verurteilt, weil sie ihm zwei Substitutionstabletten ins Gefängnis geschmuggelt hatte, um seine Entzugserscheinungen zu lindern. Er war vor seinem Haftantritt substituiert worden, die Fortführung der Therapie in Haft war ihm jedoch verwehrt worden. Die Schilderung der Verurteilten rüttelt auf: Ihr Bruder war im Gefängnis einem kalten Entzug ausgesetzt, der zu schweren physischen und psychischen Leiden bis hin zu Suizidgedanken führte*.

Appell an die Fürsorgepflicht

Condrobs appelliert an die bayerischen Justizvollzugsanstalten, flächendeckend und ohne zeitliche Befristung Substitutionstherapien für abhängige Häftlinge zuzulassen! Heroinsüchtigen Häftlingen systematisch die Substitution zu verweigern, verletzt die medizinische Fürsorgepflicht durch Anstaltsärzte.

Substitution wirkt

Sowohl Weltgesundheitsorganisation (WHO) wie auch Bundesärztekammer definieren Opioidabhängigkeit als schwere, behandlungsbedürftige chronische Erkrankung und empfehlen Heroinersatztherapie. Oft muss ein Leben lang behandelt werden. Eine Substitutionsbehandlung wirkt sich positiv nicht nur auf die Betroffenen und die Haftsituation, sondern auch auf die Allgemeinheit aus: Sie verbesset unter anderem die Gesundheit der Betroffenen, erkrankungsbedingte Delinquenz nimmt ab. Der Teufelskreis aus Beschaffungskriminalität und erneuter Inhaftierung kann durchbrochen werden – eine Entlastung der JVAs und der Allgemeinheit. Eine der wichtigsten Wirkweisen der Substitution ist die Reduktion des Cravings, des Heroinhungers. Durch die Behandlung in Haft kann also der fortgesetzte Konsum von Heroin minimiert werden.

Ersatztherapie ist ein Menschenrecht

In über 40 europäischen Ländern sowie in zahlreichen weiteren Ländern weltweit findet Substitutionsbehandlung in Haft statt. In Bayern jedoch wird sie weiterhin häufig verwehrt oder an hohe Hürden geknüpft. 2016 war einem ehemaligen Häftling einer bayerischen Justizvollzugsanstalt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) Recht gegeben worden. Er hatte geklagt, weil seine Substitutionsbehandlung in der Haft abgebrochen worden war. Die Richter des EMGR stellten klar: Das Vorgehen in Bayern stellt eine Verletzung von Artikel 3 (Verbot der Folter) der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.

Verantwortung annehmen!

Wir fordern, dass staatliche bayerische Institutionen wie Justizvollzugsanstalten und Gerichte sich auf wissenschaftliche Evidenz, rechtliche Grundlagen und oberste Gerichtsurteile beziehen! Sie müssen ihre Verantwortung annehmen und die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Substitutionsbehandlung ebenso wie die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung ausnahmslos umsetzen.

Condrobs ist Mitunterzeichner eines aktuellen Positionspapiers [1] zum Thema, in dem 16 Träger der bayerischen Suchthilfe sich für eine wissenschaftlich basierte Substitutionspraxis in bayerischen Haftanstalten einsetzen.

* Condrobs distanziert sich ausdrücklich von der Straftat der Verurteilten. Illegales Vorgehen ist nicht der richtige Weg, sondern die Einhaltung der Rechte und Pflichten aller Beteiligten.