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50 Geschichten: Das limit und ich

Dieser Beitrag wurde 2019 verfasst und stammt von einer Klientin aus dem Kontaktladen limit  [1]

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„Ich wurde gefragt, ob ich etwas zu meiner Arbeit im Arbeitsprojekt schreiben würde. Okay, aber um zu verstehen, was mir die Arbeit im limit bedeutet, muss ich zuerst kurz etwas über mich selbst schreiben. Sonst macht das alles kein Sinn. Mein Vater war Alkoholiker, meine Mutter abhängig von Schmerz- und Beruhigungsmittel. Seit frühester Kindheit gaben sie mir deutlich zu „verstehen“, dass ich nur eine Belastung sei, nichts könne und nichts wert sei. Dieses Gefühl und Selbstbild sind ganz tief in mir verankert, da auch die Lehrer in der Schule, die ich kaum besuchte, dasselbe sagten. Mit 13 Jahren begann ich selbst Alkohol zu trinken, mit 14 Jahren Drogen zu konsumieren. Das war’s erst mal zu mir. So weit.

Als ich vor ca. drei Jahren begann, regelmäßig ins limit zu gehen, dachte ich nicht im Traum daran zu fragen, ob ich dort arbeiten könne. Im Gegenteil, ich versuchte mich unsichtbar zu machen, verkroch mich in die hinterste Ecke und baute eine „Mauer“ um mich. Ich dachte immer nur: „Jetzt lasst mich bloß in Ruhe.“ Trotzdem kam immer wieder ein Teamer auf mich zu, um mich zu überreden, am Arbeitsprojekt teilzunehmen. Ich sagte ihm wieder und wieder: „Vergiss es, ich kann nichts, tauge nichts und wäre nur eine Belastung.“ Er ließ aber nicht locker und ich sagte schließlich „ja“, da er zwei Monate später in eine andere Stadt ziehen würde. Ich dachte mir, okay, ich mach das jetzt, so lange er noch da ist, dann kündige ich sofort und kann sagen: „Schaut her, ich hab’s probiert, aber es passt nicht.“ Dann hätte ich meine Ruhe. Das war mein Plan.

Es waren sechs Stunden pro Woche vereinbart. An meinem ersten Arbeitstag sollte ich nach Ladenschluss die Tische wischen und den Boden fegen. Nach etwa der Hälfte war ich total kaputt. Ich dachte, das schaff ich doch im Leben nicht. Null Kondition. Auch bei der Einweisung in andere Bereiche wie Küchenarbeit oder Toilettenreinigung bekam ich Angst, da ich mir vieles nicht merken konnte. Da sagte ein Teamer etwas ganz Wichtiges zu mir. Er sagte: „Keine Sorge, wenn du immer alles richtig machen würdest oder sofort könntest, wärst du hier auch falsch.“. Das fand ich klasse. Auch die anderen Apros haben mich sehr unterstützt. Sie setzten sich aus Zuverdienstlern wie mir, MAWs vom Arbeitsamt und Leuten, die Gerichtsstunden abarbeiten müssen, zusammen. Da ist die Kondition und Motivation oft unterschiedlich, was natürlich immer wieder zu Spannungen führt. Die Teamer haben manchmal ganz schön zu tun um zu schlichten, was ihnen aber meistens gelingt. Na, jedenfalls hab ich nach Ende der zwei Monate weitergemacht, weil’s mir irgendwie doch gefiel, ein Teil eines Teams zu sein und ein bisschen dabei helfen zu können, den Kontaktladen am Laufen zu halten.

Das limit ist für mich inzwischen einfach sehr wichtig geworden. Es ist irgendwie ein Zuhause und darin arbeiten zu dürfen, macht mich ein bisschen stolz. Ein Gefühl, das ich davor fast gar nicht kannte. Der Kontaktladen hilft gegen Vereinsamung, man bekommt hier Essen, ärztlichen Rat und soziale Betreuung, wenn man will. Bis auf die Zeit in meiner alten Clique, von denen aber die meisten an Überdosen gestorben sind und die wenigen anderen nach Thailand rüber sind, war ich die größte Zeit meines Lebens eine Einzelgängerin. Jetzt im limit und der damit verbundenen Arbeit hab ich so viel Kontakt mit den unterschiedlichsten Leuten wie noch nie in meinem Leben. Das ist nicht immer leicht auszuhalten, aber ich will es lernen. Ich habe da einen großen Nachholbedarf. Und so einfach bin ich ja auch nicht.

Aus den sechs Stunden pro Woche wurden erst achteinhalb Stunden. Dann zehn Stunden. Jetzt bin ich bei ca. 12-15 Stunden. Ich habe jetzt einen Grund zu versuchen, meinen Drogenkonsum möglichst auf die Wochenenden zu beschränken, um arbeitsfähig zu sein. Das ist oft eine Herausforderung, aber ich will die Teamer und mich selbst nicht enttäuschen. Leicht fällt’s nicht immer. Natürlich wollte ich in den 14 Monaten, in denen ich jetzt im limit arbeite, wegen allem Möglichen wieder aufhören. Teilweise wegen Arbeitskolleg*innen, Selbstzweifeln und Suchtdruck. Aber die Teamer haben es doch jedes Mal irgendwie geschafft, mich zum Weiterzumachen zu motivieren. Außerdem sehe ich ja, wie es bei vielen Leuten, die hier mit der Arbeit aufhören wieder abwärts geht. Und davor habe ich Angst.

Durch die Mahlzeiten im limit (an Arbeitstagen gratis) hat sich mein Gewicht von 45 Kilo jetzt bei 50 Kilo stabilisiert. Auch meine Kondition ist besser geworden. Und ich habe jetzt nach jedem Arbeitstag das Gefühl, doch ein bisschen etwas Wert zu sein. Und das ist ein gutes Gefühl. Das Geld, das ich im limit verdiene (2€ die Stunde), versuche ich für nicht noch mehr Drogen auszugeben, sondern spare es für Tattoos, Zahnreparaturen oder Rockkonzerte. Dass ich das jetzt mit 57 Jahren noch tun kann, ist sooo cool!

Das hört sich jetzt vielleicht alles ein bisschen „ideal“ an, ist es aber nicht. Es ist jeden Tag Arbeit, nicht mehr im Limit, sondern an mir selbst. Und das ist f……….. anstrengend!

Aber jeder Tag, den ich schaffe durchzuhalten, ist ein guter Tag in meinem Leben. Fakt. Stand der Dinge.“