Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen

22. Juli 2021

Konsumraumforderung erneuert

64 verstorbenen Drogengebraucher*innen wurde am Münchner Marienplatz gedacht. Um die Anzahl derer, die an Suchtmitteln versterben, zu verringern, bedarf es politischer Maßnahmen.

München, 22. Juli 2021 – Zum bereits 23. Mal fand dieses Jahr der Internationale Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen statt. In München versammelten sich zu diesem Anlass Vertreter*innen der Selbsthilfe,  Drogengebraucher*innen und ihre Angehörigen sowie Vertreter*innen der Suchthilfeorganisationen Caritas Therapieverbund Sucht, Condrobs e. V., der Münchner Aids-Hilfe, des Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit MünchenKritische Medizin München und Prop e. V. am Marienplatz. Wie die Jahre zuvor, hat Oberbürgermeister Dieter Reiter die Schirmherrschaft übernommen. Im Fokus der Veranstaltung standen diesmal v.a. die Absage des Freistaats Bayern an das anderenorts erfolgreich erprobte Konzept der Konsumräume, der Mangel an Substitutionsplätzen sowie das in München und Bayern  durchgeführte, erfolgversprechende Naloxon-Programm.

Frau Bürgermeisterin Verena Dietl, in Vertretung von OB Dieter Reiter

Frau Bürgermeisterin Verena Dietl, in Vertretung von OB Dieter Reiter

„Vieles läuft schon gut, vieles muss noch verbessert werden“

„So ein wichtiger Gedenktag darf wegen Corona nicht ausfallen und auch nicht untergehen, denn die Zahl der Todesfälle mit Drogenhintergrund steigt wieder an“ eröffnete die erste Rednerin Frau Dr. Mignon Drenckberg die Kundgebung zum 21. Juli 2021. Die für Suchthilfe, Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe zuständige Referentin der Caritas ging in ihrer Rede auf ein diesjähriges Fokusthema ein: den Mangel an Substitutionsplätzen bzw. an Ärzten und Ärztinnen, die Substitution anbieten. Auf einen Substitutionsarzt oder eine Substitutionsärztin kommen bereits jetzt zahlreiche Klient*innen. Die steigende Anzahl an Substitutionspatient*innen sei zwar absolut positiv, so Mignon Drenckberg, ohne weitere Maßnahmen, um Ärzte und Ärztinnen für die Substitutionstherapie zu gewinnen, werde der Engpass sich jedoch verschärfen. „Ein besseres Angebot in der Versorgung abhängiger Menschen, die sich die Drogen spritzen, würde viele weitere Probleme gleichzeitig mitreduzieren helfen“, erklärte Frau Dr. Mignon Drenckberg die weiteren Vorteile einer funktionierenden Substitutionspolitik. Auch die Möglichkeit der Substitution in Haftanstalten müsse, so die Referentin, sich vor allem in Bayern verbessern.

„Wir werden nicht lockerlassen!“

„Aus meiner fachlichen Sicht hat die Drogenpolitik der bayerischen Landesregierung noch ein bisschen Luft nach oben.“ Dem einleitenden Satz von Herrn Jörg Gerstenberg, Bereichsgeschäftsleitung bei Prop e. V., folgten weitere Ausführungen, die auf die Versäumnisse der derzeitigen Landespolitik abzielten. Für ihn sei es unverständlich, dass wissenschaftlich anerkannte und nachweislich wirksame Hilfsformen, Therapien und sonstiges nicht angewendet  werden. Da es sich hierbei um lebensrettende Maßnahmen handle, sei eine konsequente Umsetzung geboten. Als konkretes Beispiel einer solchen Maßnahme nannte Gerstenberger das Konsumraumkonzept.

„Konsumräume retten erwiesenermaßen Leben!“

Einen emotionalen Höhepunkt erlebten die Anwesenden nach etwa der Hälfte der Kundgebung. Meli, ein Mitglied des deutschlandweiten Selbsthilfenetzwerks JES (Junkies – Ehemalige – Substituierte), verlas eine direkt an Ministerpräsident Dr. Markus Söder adressierte Rede. Die Vortragende nahm dabei Bezug auf eine von Herrn Söder im Kontext der Coronapandemie getätigten Aussagen, dass jedes Leben schützenswert sei. Dies schlage sich jedoch, so Meli, nicht in der Drogenpolitik der Landesregierung nieder. Die Weigerung, Konsumräume in Bayern einzurichten, zeige deutlich den krassen Widerspruch. „Seit vielen Jahren fordern wir vergeblich Konsumräume in Bayern und München als Überlebenshilfen. Die Argumentation, Konsumräume würden Nichtkonsument*innen zum Drogenkonsum verleiten, ist nicht haltbar!“ Der Anblick eines sterilen, gefliesten Raumes löse ja auch bei Herrn Söder sicherlich nicht den Wunsch nach Drogen aus, so Melis augenzwinkernde Anmerkung. Dass die anderen Angebote wie Therapien oder Substitution nicht ausreichend sind, stellte die Rednerin auch nochmal heraus: „Nicht alle Suchterkrankten können diese Angebote annehmen, sei es wegen einer fehlenden Krankenversicherung oder wegen ihrer individuellen Lebensgeschichte.“ Anhand von aufrüttelnden Beispielen machte Meli zum Ende ihres Appells nochmal deutlich, dass Konsumräume mit Fachpersonal schon oft der Grund dafür waren, dass Drogengebraucher*innen nicht ihr Leben gelassen haben.

[weitere Informationen zu Konsumräumen finden Sie in der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit in der Suchthilfe und Suchtprävention]

Zeit für das Gedenken

Angelika May-Norkauer, Mitorganisatorin des Gedenktages von Prop e. V., verlas im Anschluss die Vornamen der 64 im vergangenen Jahr verstorbenen Drogengebraucher*innen. Dieser berührende, andächtige Moment vermittelte eindrucks- wie schmerzvoll, dass diese 64 Verstorbenen nicht irgendwelche Zahlen einer Statistik sind. Sie alle haben eine Biografie, sie sind Söhne und Töchter, Mütter und Väter, sie sind Freund*innen, Partner*innen, geliebte Personen, die vermisst werden. Im Anschluss an das Verlesen der Namen wurde eine Schweigeminute abgehalten, um diesen von uns gegangenen Menschen zu gedenken.

Jede schwarze Schleife steht für eine*n verstorbene*n Drogengebraucher*in in München.

Jede schwarze Schleife steht für eine*n verstorbene*n Drogengebraucher*in in München.

Das Recht auf Substitution

Dem in diesem Jahr besonders im Mittelpunkt stehenden Thema Substitution widmete sich auch Tobias Oliveira Weismantel, Geschäftsführer der Münchner Aids-Hilfe. In seiner Rede ging er speziell auf die Missstände in Sachen Substitution in bayerischen Haftanstalten ein. Trotz der gesetzlichen Verankerung des Rechts auf Substitutionstherapie während der Verbüßung einer Haftstrafe, gibt es in der Realität einen eklatanten Mangel an Substitution in Haft. Oliveira Weismantel prangerte in seinem Redebeitrag die fehlende Umsetzung bestehenden Rechts an. Dass Substitution erfolgreich ist, sei erwiesen und müsse sich entsprechend in der realen Anwendung niederschlagen, natürlich auch in Haft, so Weismantel.

Nötige Maßnahmen zur Lebenssicherung

„Wir sind heute hier, um diesen Menschen zu gedenken, um uns an sie zu erinnern und um sie zu trauern.“, begann Katrin Bahr, Geschäftsführende Vorständin von Condrobs e. V., ihren Redebeitrag. Von entscheidender Bedeutung sei dieser Tag aber auch deshalb, so Bahr, da hier auf die Schutzlücken des Hilfesystems aufmerksam gemacht wird. Auch sie wies auf die ablehnende Haltung der Staatsregierung hinsichtlich eines Drogenkonsumraums hin. Die dieses Jahr erfolgte Absage an ein entsprechendes Modellprojekt war „ein herber Schlag für uns alle, denn wir wissen, dass Konsumräume schützen und Leben retten.“ Katrin Bahr betonte, dass Konsumräume in zahlreichen europäischen Städten zu überzeugenden Erfolgen geführt haben. Nebst einer Reduzierung von öffentlichem Konsum dienen solche Räume der Prävention des Drogenhandels und sorgen für ein erhöhtes Sicherheitsgefühl der Bevölkerung.

Lobend erwähnte Katrin Bahr, dass Bayern das Naloxon-Modellprojekt durchgeführt hat und eine Fortsetzung plant: „Dieser Beschluss ist lebenssichernd für viele Drogengebraucher*innen.“ Als Alternative zu den Konsumräumen sei die Naloxongabe aber keinesfalls zu verstehen. Es gebe hierbei kein „entweder oder“ sondern nur ein „und“, so Bahr.

„Eine zeitnahe Umsetzung der Stadt.“

Zum Schluss ihrer Rede richtete sie noch einen wichtigen Appell an die Stadt München: „Unsere Klient*innen benötigen die Plätze für gewaltbetroffene, suchtmittelabhängige Frauen* jetzt.“ Es gebe nämlich derzeit keinen Schutzraum für Frauen*, die aus der Gewaltspirale herauswollen, aber ihren Konsum nicht aufgeben können. Hier sei, so Bahr, schnelles Handeln erforderlich.

„Etwas, das wir ganz dringend hier brauchen.“

Die Schlussworte der Veranstaltung sprach Bürgermeisterin Verena Dietl, die bereits im vergangenen Jahr bei dem Gedenktag zugegen war und dort eine Rede hielt. „Mir ist es als Bürgermeisterin wichtig, dass wir gute Angebote haben und dass wir Menschen, die von Sucht betroffen sind, gut unterstützen können. Mit vielen guten Maßnahmen könnten wir die Zahl der Drogentoten auch nach unten drücken. Das wäre mir ein sehr wichtiges Anliegen.“ Frau Dietl merkte an, dass es für viele Drogengebrauchende vor allem während der Pandemie schwierig war, Kontakt zu Hilfemaßnahmen zu finden und diese entsprechend besonders unter der Krise zu leiden hatten. Auch Verena Dietl griff das Thema Drogenkonsumraum auf und unterstrich dessen Wichtigkeit. Leider habe die Landesregierung trotz vehementer Forderungen von Seiten der Stadt München der Bitte nach einem Konsumraum nicht stattgegeben. Gerne, so Dietl, hätte sie dieses Jahr bessere Nachrichten mitgebracht. Aufgeben werde die Stadt aber nicht: „Ich kann Ihnen versichern, wir werden nicht aufhören, für einen Drogenkonsumraum zu kämpfen!“

 

Fotocredit: Florian Freund (https://www.florian-freund.de/)

 

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