Ein Pause-Knopf für Flucht-Trauma?

12. November 2020

Fachtag teilt Erfahrungen aus Suchthilfe und Migrationsarbeit

München, 12.11.2020 – „Was, wenn es für ‚Sucht‘ in Farsi kein Wort gibt?“ Es ist eine Frage aus dem Alltag, die Karin Wiggenhauser den Teilnehmer*innen des Fachtags „Transkulturelle Prävention: Erfahrungen aus Suchthilfe und Migrationsarbeit“ stellt. Wiggenhauser ist Bereichsgeschäftsführerin für Regionale Angebote bei Condrobs, einem sozialen Hilfeträger, der sich in Bayern unter anderem für Suchtkranke und für geflüchtete Menschen einsetzt. Aus der Hilfe für Geflüchtete weiß man bei Condrobs: Transkulturelle Arbeit heißt nicht, nach Unterschieden oder Defiziten der Zielgruppe zu suchen, sondern von Gemeinsamkeiten auszugehen. Auch in der Suchthilfe für Geflüchtete greift dieser Ansatz. Wie Suchthilfeangebote aber auch Prävention für Geflüchtete leichter zugänglich gemacht werden können, zeigt ein über zwei Jahre hinweg umgesetztes Schulungskonzept für Multiplikator*innen.

Umgang mit Konsum kulturell geprägt?

„Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene aus Flüchtlingsfamilien sind oft durch Traumata aus ihrem Leben im Herkunftsland oder auf der Flucht vorbelastet“, weiß Anne Lubinski, Fachreferentin für Prävention und Gesundheitsmanagement bei Condrobs. Auch nach Ankunft in Deutschland folgen oft Ernüchterung und Unsicherheit: unklarer Aufenthalt, mangelnde Perspektiven, soziale Isolation – leicht zugängliche Suchtmittel können, wenn auch nur für gewisse Zeit, Linderung schaffen.

Unsicherheit, wie man dieser Herausforderung begegnen kann, herrscht oft auch bei Berater*innen. „Mit welcher Haltung, welchen Worten und Metaphern können wir mit jungen Geflüchteten über dieses Thema sprechen? Wie machen wir klar, wie Suchthilfe aussieht und was sie bewirkt?“, sind laut Lubinski zentrale Fragen. Konsum sei häufig ein Tabuthema. Hinzu kommt ein unterschiedliches Verständnis von Gesundheit und Ängste vor möglichen rechtlichen Konsequenzen für Konsument*innen.

Ein neu entwickeltes Schulungssystem soll diese Lücken schließen und brennende Fragen für Berater*innen beantworten. Ein Ziel ist, geflüchteten Menschen so fachliche und verständnisvolle Suchtprävention bieten zu können.

Kein direkter Zusammenhang zwischen Sucht und Flucht

Nida Yapar, Referentin für Diversität und Sucht, gibt in ihrem Vortrag Einblicke in bundesweite Forschungsergebnisse. Eine von Yapar zitierte Studie soll ermitteln, ob und wie drogenabhängige Geflüchtete vom Hilfesystem erreicht wurden. Oft fehle es dieser Personengruppe an Wissen und Zugang zu traditioneller Suchthilfe. Von 128 befragten konsumierenden Geflüchteten konsumierte über die Hälfte bereits im Heimatland, circa 30% kamen erst nach Ankunft in Deutschland mit Drogen in Kontakt. Yapar betont: „Zwischen Flucht und Drogenkonsum besteht kein direkter Zusammenhang!“ Vielmehr seien es die Summe sozio-ökonomischen und -kulturellen Faktoren, die Konsum bedingen. Mangelnder Zugang zu Arbeit und Ausbildung, zusätzlich Erfahrung mit Diskriminierung und Ausgrenzung, spielten bei der Personengruppe eine besondere Rolle.

Yapar plädiert daher unter anderem dafür, Mitarbeiter*innen in Flüchtlingsunterkünften verstärkt für das Thema Sucht zu sensibilisieren und Barrieren zur Suchthilfe und weiterführende Behandlung für Geflüchtete abzubauen.

Filmpremiere

Eine neue Kurzdokumentation von Regisseur David Feuerstein lässt drei geflüchtete Menschen ihre  Geschichten erzählen. Der Film stellt eindrucksvoll dar, welche tiefgreifenden Belastungen Kriegserlebnisse im Herkunftsland und Fluchttraumata für das weiterführende Leben sind.

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