Im Rahmen der Landtagswahl hat Ärzte der Welt letzte Woche zu einer Podiumdsdiskussion zu folgenden Fragen eingeladen: Welche Barrieren verhindern in Bayern, dass Menschen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können? Was muss passieren, um eine gerechtere, inklusivere Gesundheitsversorgung zu ermöglichen?
Hier könnt ihr eine Fassung von Robert Limmer, Einrichtungsleitung der Clearingstelle Gesundheit als Experte für Clearingstellen, lesen.
Best practice München
Die Clearingstelle Gesundheit bei Condrobs ist eine freiwillige, kommunale Leistung der Landeshauptstadt München zur Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung.
Wir beraten Menschen ohne Krankenversicherung und gesundheitliche Versorgung, wie sie wieder in die Krankenversicherung oder in andere soziale Sicherungssysteme kommen können. Darüber hinaus verwalten wir den Gesundheitsfonds, der von der Landeshauptstadt München jährlich mit über 500.000 € zur Verfügung gestellt wird, um dringend medizinisch notwendige Behandlungen für mittellose Menschen in München zu finanzieren.
Unsere Zielgruppe sind unter anderem ehemals selbstständig tätige Deutsche, die aus verschiedenen Gründen ihre Krankenversicherungsbeiträge nicht mehr zahlen konnten und oft jahrelang nicht versichert waren. Sie waren sehr lange nicht beim Arzt und haben dadurch sich zuspitzende oder chronifizierende Erkrankungen entwickelt.
Jahrzehnte ohne Krankenversicherung
Ein Beispiel ist Frau L., 69 Jahre alt, die kürzlich zu uns in die Beratung gekommen ist. Sie war seit 30 Jahren nicht mehr beim Arzt und seit 25 Jahren nicht mehr krankenversichert. Sie suchte medizinische Hilfe bei Ärzten von Malteser Medizin, einer ehrenamtlichen medizinischen Anlaufstelle. Dort wurde eine akute Niereninsuffizienz diagnostiziert. Krankenhäuser und Facharztpraxen behandeln nur, wenn eine Kostenübernahme vorliegt. Im ersten Clearinggespräch klärten wir die Verhältnisse und stellten sicher, dass eine Kostenübernahme durch den Gesundheitsfonds erfolgte. Darüber hinaus beantragten wir gemeinsam mit ihr einen Behandlungsschein über die Grundsicherung beim Sozialbürgerhaus und vereinbarten Facharzttermine. So konnte sie schon nach einigen Tagen fachärztlich behandelt werden und dank des Gesundheitsfonds ihre inzwischen lebensbedrohliche Erkrankung mit Dialyse behandeln. Das Sozialreferat prüfte parallel den Anspruch auf Sozialleistungen und genehmigte einen Behandlungsschein, so dass die medizinische Versorgung von Frau L. durch die Sozialhilfe gesichert ist.
Ziegruppe EU-Einwanderer
Eine weitere Zielgruppe sind häufig EU-Einwanderer, die in München auf Arbeitssuche sind, ohne hier Fuß fassen zu können. Leider enden nicht alle Fälle so positiv wie bei Frau L.
Eine junge Frau kam 2022 zu uns. Sie hatte anhaltende gynäkologische Probleme, und bei Ärzten der Welt wurde der Verdacht auf ein Zervixkarzinom gestellt. Sie war jahrelang nicht bei einer Frauenärztin. Sie wurde zu uns in die Beratung weitervermittelt. Nach dem Clearing übernahm der Gesundheitsfonds die Kosten für einen stationären Eingriff zur Bestätigung der Diagnose. Parallel prüften wir Sozialleistungsansprüche und fragten die Krankenversicherung im Herkunftsland an, ob ein Versicherungsverhältnis besteht. Es konnten keine Ansprüche geltend gemacht werden. Durch die lange aufgeschobenen Arztbesuche und fehlende präventive Untersuchungen aufgrund der fehlenden Krankenversicherung war die Erkrankung bereits so fortgeschritten, dass sich der Zustand trotz OP und Therapien rapide verschlechterte, und die junge Klientin während ihres stationären Aufenthalts verstarb.
Zahlreiche Hilfegesuche
Dies sind zwei Beispiele von insgesamt mehr als 1.200 Ratsuchenden, die in den letzten drei Jahren zu uns in die Clearingstelle gekommen sind. In 52% unserer Fälle gelingt es uns, die Patient*innen wieder in ein Absicherungssystem wie die Krankenversicherung oder Sozialsysteme zu integrieren. Der Gesundheitsfonds wurde in den letzten Jahren mit durchschnittlich ca. 350.000 bis 380.000 € jährlich belastet. Diese freiwillige Leistung der Landeshauptstadt München ist gut investiertes Geld, um langfristig Leistungsträger und Sozialhilfeträger zu entlasten und Folgekosten einzusparen. Als Clearingstelle sehen wir, dass viele Menschen ohne Krankenversicherung auch außerhalb von München leben. Häufig erhalten wir Anfragen aus dem Landkreis, für die wir leider keine Zuständigkeit haben, wodurch diese Menschen faktisch ohne medizinische Versorgung sind.
Gesundheitsfonds vorbildhaft
Die Landeshauptstadt München erfüllt mit ihren freiwilligen kommunalen Leistungen für die Clearingstelle und den Gesundheitsfonds vorbildhaft ihre Verpflichtungen, die sich auch aus Sozialabkommen und Menschenrechtsabkommen ergeben. So können die schlimmsten Problemlagen der medizinischen Unterversorgung dieser vulnerablen Gruppe bis zur strukturellen Veränderung der Gesetzeslage auf Bundesebene ausgeglichen werden.
Wir begrüßen es sehr, dass die Parteien auf Landesebene sich für die Etablierung von Clearingstellen einsetzen. Eine Finanzierung auf Landesebene wäre aus unserer Sicht sehr vorteilhaft, da dadurch ein flächendeckendes und einheitliches Angebot in ganz Bayern realisiert werden könnte. Meine Frage an den Vertreter der FDP lautet nun, wie weit der Antrag, auf den sich die FDP in den Wahlprüfsteinen bezieht, fortgeschritten ist, und wann mit einer Umsetzung auf Landesebene in Bayern gerechnet werden kann?
Vielen Dank.
Robert Limmer
Clearingstelle Gesundheit München