Titelfoto v.l.: Franziska Fichtlscherer (Leitung SwiM), Carolin Lukas (Leitung Mutter-Kind-Haus), Barbara Vorsamer (Autorin und Journalistin), Heike Meister (stellvertretende Abteilungsleitung der Jugend-, Sucht- und Familienhilfen), Condrobs-Vorstand Frederik Kronthaler, Prof. Dr. Maria Licata-Dandel, Iska Voigt (Stabstellenleitung Kinderschutz des Stadtjugendamts München)
Am 09.10. fand in München eine besondere Feier statt: Das Sternstunden Mutter-Kind-Haus feierte sein 10-jähriges Bestehen, während SwiM – Sicher wachsen in München – auf fünf Jahre erfolgreiche Arbeit zurückblicken konnte. Die Veranstaltung, moderiert von Heike Meister, Stellvertretende Abteilungsleitung der JugendSucht- und Familienhilfen, bot Raum für Rückblicke und Ausblicke auf die Zusammenarbeit und Unterstützung von Familien in schwierigen Lebenslagen.
In ihrer Eröffnungsrede betonte Heike Meister die Bedeutung stabiler Beziehungen und Vertrauen als Grundlage für positive Veränderungen: „Stabile Beziehungen und Vertrauen sind wichtige Grundlagen für Veränderung! Seit 10 Jahren bietet unser Sternstunden Mutter-Kind-Haus ein sicheres Zuhause für Schwangere und alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern. Ebenso unterstützt und begleitet SwiM seit fünf Jahren belastete Familien in München mit intensiver aufsuchender Familienhilfe.“
Das Mutter-Kind-Haus und SwiM bieten nicht nur Schutz und Betreuung, sondern schaffen gemeinsam mit langjährigen Kooperationspartner*innen ein starkes Netzwerk, das Familien stärkt und die Eltern in ihrer Rolle unterstützt. Meister erläuterte: „Es geht nicht nur um vorübergehende Unterkunft oder Hilfe, sondern um die nachhaltige Stärkung der Familien, indem wir auf Augenhöhe begegnen, Vertrauen aufbauen und Beziehungsarbeit leisten.“
„15 Jahre geballte fachliche Kompetenz“
Iska Voigt, Stabstellenleitung Kinderschutz des Stadtjugendamts München, sprach das erste Grußwort und dankte den Mitarbeitenden im Namen des Stadtjugendamts und von Frau Esther Maffei, Leitung des Stadtjugendamts. Sie betonte: „Ich freue mich sehr, diesen besonderen Vormittag mit Ihnen zu feiern.“ Voigt hob hervor, dass sowohl das Mutter-Kind-Haus als auch SwiM seit Bestehen einen unschätzbaren Beitrag geleistet haben: „15 Jahre geballte fachliche Kompetenz und Einsatz für junge alleinerziehende Mütter sowie psychisch und suchtbelastete Eltern und ihre Kinder.“
Beide Projekte stehen für innovative Ansätze, die Kindern und Familien auf Augenhöhe helfen. Voigt lobte das Sternstunden Mutter-Kind-Haus für die Unterstützung junger Mütter und ihrer Kinder: „Dank Ihrer täglichen Arbeit werden junge Mütter bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder unterstützt.“ Sie hob auch die Bedeutung des SwiM-Projekts hervor, das Familien ermöglicht, in ihrem vertrauten Umfeld zu bleiben: „Ihre Unterstützung sichert Familien einen stabilen Ort und eine Umgebung, in der sie wachsen können.“
Die zentrale Rolle des Kinderschutzes wurde ebenfalls betont. Voigt sagte: „Sie geben diesen Familien, diesen Kindern ein Zuhause.“ Sie dankte im Namen von Frau Maffei und würdigte die Mitarbeitenden, die täglich einen großen Beitrag zum Schutz und Wohl von Eltern und Kindern leisten.
Notwendigkeit struktureller Entwicklungen
Frederik Kronthaler, Vorstand von Condrobs, freute sich, diese wichtigen Meilensteine zu feiern. „Diese beiden Einrichtungen sind nicht nur Orte der Unterstützung, sondern auch des Schutzes und der Stärkung von Frauen* und ihren Kindern“, erklärte er. Besonders die enge Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und weiteren Stellen, die zur positiven Entwicklung der betreuten Familien beiträgt, wurde hervorgehoben.
Kronthaler betonte, dass die Einrichtungen Frauen* mit besonderen Herausforderungen, oft durch psychische Erkrankungen oder Abhängigkeiten, helfen. Mit acht Plätzen im Mutter-Kind-Haus und 16 im SwiM-Projekt konnten bereits zahlreiche Familien, darunter viele mit Fluchthintergrund, unterstützt werden. Die Einrichtungen bieten Schutzräume, in denen Frauen* ihre Rolle als Mütter stärken können.
Ein großer Dank ging an die Sternstunden, die den Kauf des Mutter-Kind-Hauses ermöglichten, sowie an den Deutsch-Amerikanischen Frauenclub für die Unterstützung bei der Kindermöblierung. Abschließend betonte Kronthaler die Notwendigkeit struktureller Entwicklungen, um die Arbeit der Einrichtungen nachhaltig zu sichern, insbesondere in der Weiterführung der Hilfen, wenn Familien eigenen Wohnraum finden.
Zum Abschluss überreichte Kronthaler symbolisch Tassen und eine Karte an die Einrichtungsleitungen Carolin Lukas (Mutter-Kind-Haus) und Franziska Fichtlscherer (SwiM), gefolgt von herzlichem Applaus für die Teams der Einrichtungen.
Elterliche psychische Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung
Der Fachvortrag von Prof. Dr. Maria Licata-Dandel, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie sowie leitende Psychologin am kbo-Kinderzentrum München, thematisierte die weitreichenden Auswirkungen psychischer Erkrankungen von Eltern auf die Entwicklung ihrer Kinder und die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Sie beleuchtete Aspekte von der Epidemiologie psychischer Störungen bis zu Interventionen zur Unterstützung betroffener Familien.
Ein zentrales Thema war die hohe Prävalenz psychischer Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung, insbesondere Angststörungen und affektive Störungen wie Depressionen. Prof. Licata-Dandel stellte fest: „In stationär aufgenommenen psychiatrischen Patient*innengruppen hatten bis zu 50 % minderjährige Kinder, was die Dringlichkeit der Thematik unterstreicht.“ Diese Aussage verdeutlichte den Einfluss elterlicher psychischer Erkrankungen, da viele betroffene Eltern mit ihren Kindern im selben Haushalt lebten.
Die Referentin hob hervor, dass psychische Störungen bei Müttern häufiger vorkamen, betonte jedoch, dass auch viele Väter betroffen waren. „Es gab signifikante Unterschiede in den Auswirkungen psychischer Erkrankungen zwischen Müttern und Vätern“, erklärte sie. Besonders anfällig waren Frauen in der Zeit nach der Geburt, wenn bis zu 30 % die Geburt als traumatisch empfanden, was durch hormonelle Veränderungen und Schlafmangel zu psychischen Problemen führen konnte.
Ein zentrales Konzept des Vortrags war die Bindung zwischen Eltern und Kindern. „Eine unsichere Bindung ist nicht zwangsläufig pathologisch, kann aber die emotionale Entwicklung der Kinder beeinflussen“, erläuterte Prof. Licata-Dandel. Eine sichere Bindung war entscheidend für die gesunde Entwicklung, wobei die Feinfühligkeit der Eltern – die Fähigkeit, angemessen auf die Signale ihrer Kinder zu reagieren – eine zentrale Rolle spielt.
Die Referentin beschrieb auch die Folgen elterlicher Feindseligkeit und Passivität: „Eltern mit psychischen Erkrankungen zeigten häufig eine verringerte Feinfühligkeit, was die emotionale Entwicklung ihrer Kinder beeinträchtigen konnte.“ Kinder von depressiven Müttern entwickelten oft Regulationsstrategien, da sie lernten, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt wurden
Ein weiterer wichtiger Aspekt war die intergenerationale Weitergabe von Bindungsunsicherheiten: „Bindungsunsicherheiten werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weitergegeben und können dazu führen, dass Kinder als spätere Erwachsene in missbräuchliche Beziehungen geraten.“ Die Heritabilität psychischer Störungen ist hoch, jedoch konnten positive Umwelteinflüsse und stabile Bezugspersonen Resilienz fördern.
Abschließend betonte sie die Notwendigkeit frühzeitiger Interventionen: „Programme zur Verbesserung der Feinfühligkeit von Eltern und zur Unterstützung von Kindern psychisch kranker Eltern sind entscheidend.“ Durch konsequente Förderung der Eltern-Kind-Interaktion und Feinfühligkeitstrainings können Bindung gestärkt und negative Effekte verringert werden.
Nach einer angeregten Fragerunde stellten die beiden Leitungen, Carolin Lukas und Franziska Fichtlscherer, die beiden Jubiläums-Einrichtungen vor.
Unterstützung im Mutter-Kind-Haus
„Fast alle Klientinnen* hatten Gewalt erfahren“, beschrieb Carolin Lukas die Realität der Frauen im Mutter-Kind-Haus, die sowohl aus Flucht- als auch aus häuslichen Gewaltsituationen stammten. Das Hauptziel der Einrichtung war es, die Mütter in ihrer Selbstständigkeit und Erziehungsfähigkeit zu unterstützen: „Je offener sie waren und je mehr Hilfe sie annahmen, desto schneller wurden sie selbstständig erziehungsfähig.“ Die Mütter erhielten Unterstützung von Sozialpädagog*innen, Erzieher*innen und Psycholog*innen, während sie in ihrem Alltag begleitet wurden.
Ein Fallbeispiel zeigte die Fortschritte einer somalischen Mutter mit mehreren psychotischen Episoden: „Sie konnte psychisch so stabilisiert werden, dass sie regelmäßig ihre Medikamente nahm und die Beziehung zu ihren Kindern gestärkt wurde.“ Das Team arbeitete eng mit den Müttern und dem Jugendamt zusammen, um Rückführungen und Umgangsregelungen zu gestalten. Lukas betonte die Notwendigkeit kulturellen Verständnisses: „Es wurde schwierig, wenn man zwischen Krankheitsbild und kulturellen Glaubenssätzen unterscheiden musste.“
Dank des kompetenten Teams hatte die Mutter nun die Möglichkeit, in einer eigenen Wohnung zu leben, während sie weiterhin Unterstützung erhielt: „Das wäre ohne unser Team nicht möglich gewesen.“
SwiM will Zuversicht vermitteln
Franziska Fichtlscherer präsentierte die Arbeit ihrer Einrichtung SwiM, die intensive Familienhilfe für suchtbelastete und psychisch kranke Eltern sowie ihre Kinder bietet. Ziel war es, die Erziehungsfähigkeit der Eltern zu stärken, die Bindung zwischen Eltern und Kind zu fördern und sicherzustellen, dass die psychische Erkrankung nicht die elterliche Sorge überlagerte: „Wir wollten das Kindeswohl sichern und den Familien ein gemeinsames Leben ermöglichen.“
Die Einrichtung bietet intensive Begleitung mit einem multiprofessionellen Team, das eng mit den Familien zusammenarbeitete. Fichtlscherer betonte: „Ein großer Teil der Arbeit besteht darin, Zuversicht zu vermitteln und ein tragfähiges Netzwerk aufzubauen.“ Ein Beispiel für den Erfolg ihrer Arbeit war die Begleitung einer Klientin über drei Jahre, die stabil und abstinent lebte und auf die Bedürfnisse ihrer Tochter einging: „Wir haben sie verselbstständigt. Das war eine tolle Erfolgsgeschichte.“
Die Herausforderungen lagen in der Balance zwischen Unterstützung und Kontrolle. Die Fachkräfte mussten regelmäßig die Situation der Familien überprüfen und gegebenenfalls intervenieren: „Die Sorge der Eltern, dass sie nicht mehr mit ihren Kindern zusammenleben konnten, belastete oft die Situation.“
Fichtlscherer betonte die Wichtigkeit individueller Unterstützung für Familien mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen und dass positive Veränderungen durch gezielte Interventionen möglich waren.
Emotionale Lesung
Autorin und Journalistin Barbara Vorsamer setzte den emotionalen Höhepunkt des Jubiläums mit einer Lesung, in der sie das Leben einer Mutter beleuchtet, die ihre Tochter in einem bewegenden Brief anspricht. Der Brief, bekannt als „Liebe Magdalena“, war ein kraftvolles Dokument voller Herausforderungen und innerer Kämpfe.
„Ich schreibe dir, weil ich hoffe, dass du eines Tages verstehst, was in mir vorgeht“, eröffnete sie den Brief, der vor sechs Jahren verfasst wurde, als die Tochter erst sieben Jahre alt war. Vorsamer schilderte, wie schwierig es war, ihre inneren Kämpfe in eine Sprache zu fassen, die für ein Kind zugänglich war. „Es war nicht einfach, einem Kind zu erklären, was es bedeutet, wenn die Welt so schwer drückt“, erklärte sie.
In ihrem Vortrag reflektierte die Autorin über die Zeit in einer psychiatrischen Einrichtung, zwischen Krisen und Therapiefortschritten. Die ehrlichen Offenbarungen verdeutlichten, wie psychische Erkrankungen nicht nur die Mutter, sondern auch die Beziehung zu Tochter und Partner beeinflussten.
Mit einem eindringlichen Appell endete die Lesung: Es sei unerlässlich, die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen abzubauen und offener über Erfahrungen zu sprechen.
Ausklang bei Häppchen
Mit diesem bewegenden Vortrag fand die Feier ihren Ausklang. Bei Häppchen und Getränken, bereitgestellt von Condrobs‘ sozialem Beschäftigungsbetrieb VIVA CLARA, unterhielten sich die Teilnehmenden angeregt über die Themen des Tages.
Condrobs bedankt sich herzlich bei Iska Voigt, Prof. Dr. Maria Licata-Dandel und Barbara Vorsamer für ihren Besuch und ihre Beiträge. Ein Dank geht auch an Sternstunden, den Deutsch-Amerikanischen Frauenclub, das Stadtjugendamt München und die Mitarbeitenden beider Einrichtungen, ohne die diese Erfolge nicht möglich gewesen wäre.
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Foto 1: Heike Meister Foto 2: Iska Voigt Foto 3 v.l.: Frederik Kronthaler dankt Carolin Lukas und Franziska Fichtlscherer Foto 4: Prof. Dr. Maria Licata-Dandel Foto 5: Barbara Vorsamer Foto 6: Publikum in der Kistlerhofstraße Foto 7 v.l.: Ulrike Kellner (Präsidentin des Deutsch-Amerikanischen Frauenclub München e. V.), Frederik Kronthaler Foto 8: Stadträtin Barbara Likus Foto 9: Publikum in der Kistlerhofstraße