Am 07. Oktober 2022 lud ein Bündnis der bayerischen Suchthilfeträger und zweier Wohlfahrtsverbände, Caritas München, Condrobs e.V., Drogenhilfe Schwaben gGmbH, drugstop Regensburg e.V., Prop e.V., mudra Drogenhilfe Nürnberg sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern, in die Räumlichkeiten der Katholischen Akademie Bayern ein, um in Form eines politischen Fachgesprächs die verschiedenen Aspekte von Drogenkonsumräumen durch Kurzvorträge fachlich zu beleuchten.
Treffen zum Thema Drogenkonsumräume
„Wo befindet sich der nächste Konsumraum?“ richtete Moderator Dr. Tim Pfeiffer seine Frage an das Publikum, bestehend aus Mitarbeiter*innen der Suchthilfe, Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung, aber auch Betroffenen der Selbsthilfegruppe JES München. „Frankfurt? Karlsruhe? Nein, nur wenige hundert Meter entfernt!“
Es gibt sie, die Orte im öffentlichen Raum, an denen konsumiert wird – nur handelt es sich hierbei eben um illegale Konsumräume. Die bayerische Staatsregierung hat bis zum jetzigen Zeitpunkt die Möglichkeit des Erlasses der Rechtsverordnung zur Einführung von Drogenkonsumräumen im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht umgesetzt. Aus diesem Grund trafen sich die verschiedenen Vertreter*innen, um neben der Frage der rechtlichen Einordnung, vorgestellt von Prof. Dr. Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht an der Universität des Saarlandes, auch auf die Sicherheit im öffentlichen Raum und die Frage, inwiefern Drogenkonsumräume zu einer Entlastung für Anwohner*innen und Stadtgesellschaft beitragen können, näher einzugehen.
Sicherung des öffentlichen Raums
Die Friedens- und Konfliktforscherin sowie Vertreterin des Ordnungsamts der Stadt Augsburg, Janina Hentschel, berichtete vom erfolgreichen Aufbau der Einrichtung beTreff in Augsburg, einer Einrichtung zum Tagesaufenthalt, die den Konsum von Alkohol wie Bier und Wein erlaubt, und den positiven Effekten die diese Etablierung für den öffentlichen Raum sowie die Nachbarschaft mit sich gebracht hat.
Entlastung des Gesundheitssystems
Auf eine im bestehenden Diskurs oft nicht mitbedachte Perspektive machte Jan G. Welker, Oberarzt der Zentralen Notaufnahme am Klinikum Nürnberg, das Publikum aufmerksam: Die sich immer weiter verschärfende Überlastung von Klinikpersonal und die immer geringer werdenden Kapazitäten, auch auf Intensivstationen. Nicht wenige Patient*innen, die über einen längeren Zeitraum ressourcenbindend stationiert sind, seien so Dr. Welker, aufgrund von Überdosierungen durch Substanzkonsum dort. Dr. Welkers Appell an dieser Stelle zielte darauf ab, auf die Anzahl von Notfällen in Städten zu blicken, in denen es bereits seit langem Drogenkonsumräume gibt. Hier wird deutlich, dass beispielsweise bei den mehr als 300 Notfällen in einem Konsumraum in NRW lediglich die Hälfte aller Fälle einen Einsatz des Rettungsdienstes erforderlich machten und nur ein Drittel im Krankenhaus versorgt werden mussten.
Durch schnelles Eingreifen des geschulten Konsumraumpersonals vor Ort werden diese Fälle erst gar nicht zu „ressourcenaufwendigen“ und damit kapazitätsbindenden Patient*innen in einem, wie Dr. Welker es formulierte, „ohnehin bereits unterversorgtem Gesundheitssystem.“
Die Einführung von Drogenkonsumräumen sei eine Entlastung, so der Oberarzt. Freiwerdende Ressourcen könnten so für die Behandlung und Betreuung von Patient*innen mit anderen Krankheiten verwendet werden.
Bericht aus der Praxis
Einen Einblick in seine tägliche Arbeit gab Eric Kramer, Leitung des Konsumraum „K76“, der Ende 2019 in Karlsruhe eröffnet wurde. Den von Kritiker*innen befürchteten „Drogentourismus“ gebe es, so Kramer, nicht. Die Nutzer*innen sind durchschnittlich 40,5 Jahre alt und bereits seit ca. 19 Jahren abhängig. Aus rechtlichen Gründen dürfen Erst- und Gelegenheitskonsument*innen die Einrichtung zudem gar nicht nutzen, was durch Erstgespräche sichergestellt wird. Die Zahlen, die Kramer nannte, zeigen: die Menschen, die diesen Konsumraum nutzen, sind bereits lange suchtkrank und werden keinesfalls durch die Errichtung des Konsumraums zum Konsum motiviert.
Politische Podiumsdiskussion
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen aus Landes- und Bundespolitik wurde die Frage, wie es denn weitergehen könne oder was nächstmögliche Schritte wären, platziert. Frau Margit Wild, Abgeordnete der SPD im Bayerischen Landtag, Frau Christina Haubrich, Vertreterin für Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag, und Frau Kristine Lütke, Sprecherin für Sucht- und Drogenpolitik der FDP-Bundestagsfraktion, zeigten sich überzeugt und gaben an, sich für eine Einrichtung von Konsumräumen weiterhin stark zu machen.
„Entweder … oder“ findet keine Zustimmung
Bernhard Seidenath, Gesundheits- und pflegepolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, betonte, man müsse mehr in Prävention investieren. Er sah keine neuen Erkenntnisse aus den vorangegangen Impulsvorträgen. Gründe, die gegen Konsumräume sprächen, seien auf der Veranstaltung leider nicht zur Sprache gebracht worden. Somit, so Seidenath, werde er dem Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Herrn Klaus Holetschek, weiterhin nicht empfehlen, die Rechtsverordnung zur Errichtung von Konsumräumen in Bayern zu erlassen. Für ihn, so Seidenath, sei Prävention ein sinnvolles Mittel der Drogenpolitik, denn bei den Menschen, die Konsumräume besuchen würden, sei „das Kind ja schon in den Brunnen gefallen“.
Diese „Entweder … oder“-Haltung fand bei den Anwesenden sowie im digitalen Forum keinen Zuspruch. Alle anderen Wortbeiträge, sowohl von Referent*innen, Politiker*innen als auch aus dem Publikum, vertraten die Haltung, dass gesundheits- und drogenpolitisches Handeln auch Menschen mit einer langjährigen Suchterkrankung unterstützen und mit einem möglichst breiten und wirksamen Angebot stabilisieren soll.